Ein dünner, unvernünftiger, emotionaler Lebensfaden bot sich mir hier, mitten im Nirgendwo an einem Grillfest in Süditalien. Während die anderen feierten, lieferten sich mein Verstand und meine Intuition, meine Vernunft und meine Hoffnung auf Veränderung einen inneren Kampf.

Doch Vernunft war bei mir noch nie besonders stark ausgeprägt. Und so stand mein Entschluss rasch fest: diese zwei Welpen würde ich nicht auf der Strasse sterben lassen. Diesen Lebensfaden galt es für mich und für die beiden Hunde zu ergreifen! Es war nicht ganz einfach meine Freunde davon zu überzeugen diese schmutzigen, abgemagerten Strassenhunde in ihr Auto zu verladen. Noch viel schwieriger war es meinen Partner von der Sache zu überzeugen. Aber sowohl Andi, als auch meine Freunde mussten letztlich vor meiner Hartnäckigkeit resignieren.

Nun war es von grossem Vorteil, dass ich einige Tage zuvor Tierschützer kennen gelernt hatte, die mir sowohl bei der Reinigung und medizinischen Versorgung der Hunde, als auch bei allen tierärztlichen Formalien halfen. Als wir schliesslich zurück in die Schweiz fuhren waren wir nicht mehr zu zweit, sondern zu viert. Simson und Levi zogen bei uns ein. Trotz Widerständen und Hindernissen spürte ich, dass dieser Entscheid richtig war. Intuitiv wusste ich wohl um den verborgenen Lebensfaden, der sich mir hier anbot, und der mich Stück um Stück aus der Isolation durch die Trauer herausholen würde. Zurück in der Schweiz war alles wie bisher und doch nichts mehr wie es war. Im gewohnten Umfeld drohte ich wieder in der Trauer und Verzweiflung zu versinken. Doch zwei Dinge hatten sich verändert: zum einen hatte ich in Italien Leben jenseits des Todes und der Trauer erlebt und noch viel wesentlicher: da waren zwei sechs Monate alte, hyperaktive Welpen bei mir eingezogen. Ein verkriechen in den eigenen vier Wänden war so nicht mehr möglich. Egal wie es mir ging, egal wie das Wetter gerade war, diese zwei jungen Rüden waren nicht müde zu bekommen und so war ich 3-5 Stunden täglich mit ihnen draussen und traf dabei auch neue Menschen. Wenn ich meinen zwei jungen Hunden beim spielen und laufen zuschaute, dachte ich häufig an Angelika. Was hätte Sie wohl gesagt? Wie wären wohl die gemeinsamen Spaziergänge gewesen. Ich war mir sicher, dass sie sich sehr an den Beiden gefreut hätte. Mit Simson und Levi begann ich tagtäglich durch die Trauer hindurch zu spazieren: manchmal war ich dabei in innere Zwiegespräche mit meiner verstorbenen Freundin vertieft, manchmal äusserte ich anklagende Vorwürfe gegenüber Gott und manchmal nur lächelnd die frische Regenluft einatmend.

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Reflexion

Diese Phase meiner Trauerverarbeitung ist sehr spezifisch und sicherlich nicht übertragbar. Manchmal sind es ungeplante und intuitive Ereignisse und Entscheidungen, welche das Leben auf den Kopf stellen, und gerade dadurch die Trauerspirale auch aufzubrechen vermögen. Mitten in den Tiefen der Trauer zeigen sich aber immer mal wieder so Lebensfäden, manchmal können sie ergriffen werden und bringen entscheidende Veränderungen. In meinem Fall veränderte sich durch die Hunde die Tagesstruktur. Mein Fokus und meine Energie wurden umgelenkt und richteten sich jetzt auf die Erziehung der zwei Rabauken. Zudem traten ganz neue Beziehungen in mein Leben. Da wo Angelika eine grosse Lücke hinterlassen hatte, sprangen zwei Hunde ein. Sie konnten Angelika nicht ersetzen, sie waren ihr in keiner Weise gleich. Dennoch vermochten sie die Leere mit Leben zu füllen. Durch die Hunde lernte ich zudem neue Menschen kennen und so bildeten sich auf Spaziergängen neue Freundschaften. Zu diesen Faktoren kam noch ein weiterer entscheidender hinzu: Bewegung an der frischen Luft. Ich wurde richtig sportlich und bewegte mich nun täglich in der Natur. Schlussendlich mögen diese Dinge vielleicht radikal, vielleicht auch banal klingen: aber Veränderung der gewohnten Strukturen, Beziehungen und Bewegung können auch in komplexen Trauerprozessen neue Perspektiven bieten – in meinem Fall geschah dies durch meine beiden Hunde.