Es hat mehr als ein Jahrzehnt gebraucht, um diesen Trauerweg so in Worte zu fassen, wie er hier festgehalten ist. Ich habe viel erzählt, in mein Herz und meine Gedanken blicken lassen, Verarbeitungs- und Trauerprozesse beschrieben. Lange liegt Angelikas Suizid schon zurück. Erinnerungen sind verblasst, ein grosser Teil der Trauer liegt hinter mir. Mein Lebensentwurf hat neue und andere Konturen angenommen, als ich damals gedacht hatte. Das Leben geht weiter, mit Freuden, Trauer, Arbeit, Herausforderungen, mit Freundschaften und viel Kaffee. Meine Gedanken wandern nicht mehr mehrmals täglich zu Angelika. Manchmal vergesse ich auch für ein paar Tage, wer sie für mich war. Doch nie lange und dann sitze ich da, wie heute Nacht, trinke meinen Kaffee und denke wehmütig an Angelika zurück. An ihr sanftes Wesen, ihre Empathie, die ernsten Gespräche und die lustigen Momente und an alle nicht mehr gelebten Tage. Sie fehlt. Sie hat eine Lücke hinterlassen. Alles bleibt anders.
Und doch ist ihr Verlust keine offene, eiternde und triefende Wunde mehr. Ihr Suizid und der komplizierte Trauerprozess haben Spuren hinterlassen. Ich bin zögerlicher geworden, Freundschaften einzugehen. Weiss darum, dass das Leben wie Sand durch die Finger rinnt. Der Verlust, die Trauer, der Schmerz haben mich gezeichnet und geformt. Das hindert mich nicht daran, das Lebendige zu suchen, mit meinen Hunden zu spielen und mich vertrauend in die Hände der Heiligen Geistkraft zu geben. Eine Leerstelle wird bleiben und vielleicht ist das gut so.
Reflexion
Totsächlich. Ja, wirklich und tatsächlich tot. Ein Suizid ist totsächlich, hart, klar und trifft wie ein Hammerschlag. Für diese harte Realität persönliche Worte zu finden und hilfreiche Türchen für den Trauerprozess anderer zu öffnen, war ursprünglich das Ziel des Blogs. Ich hatte die Hoffnung, dass meine Erfahrungen und Gedanken Wortbrücken für andere bilden. Vielleicht erfahren die steinernen Wälle des Schweigens hie und da kleine Risse? Ich wünsche es Ihnen und mir. Persönliche Geschichten zu erzählen, die viele Mitbetroffene gleich und doch ganz anders erlebt haben, schafft Verbundenheit und Verständnis. So möchte ich selbst sprachfähiger werden und mit meinen Worten zur Sprachfähigkeit anderer beitragen. Nun am Ende angelangt, möchte ich Mut machen, erzählend weiterzugehen, erzählend dem Suizid, der Trauer und dem Verlust zu begegnen. Die eigenen Geschichten zu erzählen, zu malen oder aufzuschreiben. «Totsächliches» beim Namen zu nennen, um nicht im Schweigen ersticken zu müssen. Ich möchte Mut machen, dass es erzählend weitergeht auch mit Ihrer Geschichte, auf Ihrem Trauerweg oder in Ihrer Arbeit mit Trauernden. Erzählend weiter, so dass Totsächliches nicht in die Einsamkeit und zum Verstummen führt, sondern zu Anteilnahme, Verständnis und vielleicht sogar zu Versöhnung mit dem Erlebten.
Von der Kanzel in den Kuhstall und der lange Rückweg. Du hast ihn zurück gelegt.
Chapeau !
Habe über Bibel TV ein Interview von Dir Gesehen, danke für Deine Offenheit dort wie auch hier. Auch ich bin eine Hinterbliebene eines Suizides/ Unfalles meines 14 jährigen Sohnes. Es schmerzt noch unendlich, dass es mich oft erstarren lässt. Ein normaler Trauerprozess scheint unmöglich. Erinnerungen tauchen urplötzlich auf und reißen mich hinunter. Danke, dass Deine Gedanken mich nicht ganz unnormal erscheinen lassen und mich an manchen Stellen wieder erkennen lassen. Dass ich Dir hier schreibe, ist ein riesiger Meilenstein in meinem Weg der Traueranerkennung.
Sei lieb gegrüßt Christina